Hein Cooper



Du kriegst heute die volle Sightseeing-Tour“, sagt Hein Cooper. „Gleich, hinter der nächsten Kurve, kommt der Middle Harbour. Jetzt – schau dir das an!“ Der Ausblick ist traumhaft, etliche Segelschiffe schwimmen auf dem türkiesblauen Meer. Cooper ist auf dem Weg nach Manly. In  weniger als einer Stunde spielt er in dem hübschen Küstenstadtteil Sydneys eine Show, doch noch ist er die Ruhe selbst. So sind sie halt, die Australier. Locker irgendwie, immer einen coolen Spruch auf den Lippen. Und verdammt entspannt.

Dabei hat Hein Cooper ein absolut turbulentes Jahr hinter sich. In seiner Heimat Australien hat der Songwriter in den letzten 12 Monaten seine Debüt-EP veröffentlicht und es damit schnurstracks in die Playlist des renommierten Radiosenders Triple J geschafft. Er ist durch Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Australien, Kanada, Amerika, Tschechien, Österreich und die Schweiz getourt – unter anderem als Support von Sophie Hunger und Kim Churchill – und hat kurz vorm Jahreswechsel beim Falls Festival in Australien auch noch seine erste Show mit voller Band absolviert. Ganz schön beeindruckend für jemanden, der noch nicht mal ein Debütalbum hat. Das veröffentlicht der 24-Jährige erst jetzt: „The Art Of Escape“ heißt es.

Doch der Reihe nach. Zur Musik kam der Sohn eines Australiers und einer Niederländerin (deshalb heißt er auch Hein) durch pubertären Wetteifer. „Als ich 14 war, fing mein bester Kumpel an Gitarre zu spielen“, erinnert er sich, während Sydneys Vororte am Autofenster vorbei ziehen. „Da wir beide ständig versuchten uns gegenseitig zu übertrumpfen, kaufte ich mir auch eine und lernte die gleichen Songs wie er. Mein Kumpel hörte bald wieder auf zu spielen, aber ich war ab da besessen von Musik“. Schnell fing Cooper an eigene Songs zu schreiben. Er zog ins dreieinhalb Stunden entfernte Sydney und begann – um Geld zu verdienen – Cover-Gigs zu spielen. Fünf Abende die Woche, drei Stunden pro Abend. Bei einer Support-Show der kanadischen Band Half Moon Run im Jahr 2013 wurde er schließlich von deren Manager entdeckt – und prompt nach Montreal eingeladen, um dort weiter an Songs zu feilen.

In Montreal, im Aufnahmestudio seiner Plattenfirma Indica Records, entstand nun auch „The Art Of Escape“. Beeinflusst von Künstlern wie Angus & Julia Stone, Radiohead, Ben Howard, Bon Iver und Beck nahm Cooper gemeinsam mit Produzent Marcus Paquin (Arcade Fire, The National) zehn Songs auf, die sich zwischen Indie und Pop bewegen, dabei aber beeindruckend abwechslungsreich sind. Reduzierte Akustikballaden wie der Titelsong des Albums stehen in Kontrast zu gutgelaunten Upbeat-Nummern wie „Rusty“ oder „Overflow“, das mit einem tanzbarem Beat, glasklarem Falsett-Gesang und allerhand verspielten Sounds überrascht.

„Der Grund, warum die Stücke so unterschiedlich klingen, ist dass ich immer versuche einen Stil zu finden, der das Gefühl und die Emotion des jeweiligen

Songs vermittelt oder gar verstärkt“, so Cooper. „‚The Art Of Escape’ haben wir in einem Take live aufgenommen, mit einem Mikro auf meiner Stimme und einem auf der Akustikgitarre. Das war die perfekte Präsentation für diesen eher nachdenklichen Song. ‚Overflow’ hingegen, das davon handelt, spirituell high und an einem anderen Ort zu sein, brauchte einen volleren, überdrehten Sound.“

Nicht nur musikalisch, sondern auch textlich sind Coopers Songs nämlich weit gefächert. „Dopamine“ zum Beispiel ist seiner Heimat Milton gewidmet. „In der ganzen Region leben gerade mal 13.000 Menschen. Es liegt an der Küste, umgeben von Wald, und ist wirklich ein magischer Ort. Wenn dahin zurückkomme, habe ich stets das Gefühl, dass die Welt dort noch in Ordnung ist“, sagt er. Früher habe er noch viel mehr über die Natur gesungen. Geradezu Bon-Iver-isch seien seine Songs gewesen. „Doch als ich nach Sydney zog und mehr zwischenmenschliche Erfahrungen gesammelt habe“, sagt er, „erweiterten sich meine Themen und unbeschwerte Songs wie ‚All My Desires’ entstanden.“ Darin geht es um all das, was Cooper nicht hat, aber gerne hätte. Superkräfte zum Beispiel.

„Water“ und „Cursed My Life“ hingegen handeln von Beziehungen und gebrochenen Herzen, während „Polar Bears“ und „The Art Of Escape“ sich um Veränderung und Eskapismus drehen. „‚The Art Of Escape’ habe ich geschrieben, als ich in Sydney lebte und mein Leben einfach nicht so lief, wie ich das wollte“, verrät er. „Ich spielte diese Cover-Gigs und kam einfach nicht voran. Heute weiß ich, dass jene Zeit die beste Schule war.“ Mittlerweile ist Cooper in Manly angekommen. Noch 30 Minuten bis zur Show. In aller Seelenruhe parkt er den Wagen, steigt aus und nimmt seine Gitarre. „Es ist toll zu sehen“, sagt er, „dass meine Songs mittlerweile immer mehr Leute erreichen und vielleicht sogar ihr Leben verändern.“ Wie gesagt: Und das alles, bevor sein Debütalbum überhaupt erschienen ist. Keine Frage: 2016 dürfte für Cooper ein noch turbulenteres Jahr werden.

Am
12.09.2017