Man liest es häufiger, aber im Falle des US-amerikanischen Quartetts Dead Poet Society trifft es wirklich zu: Diese Band, die sich aus vier Musik-Absolventen in Boston gründete, ist darum bemüht, eine neue Form der Rockmusik zu (er-)finden. Mit Mut und enormer Unverfrorenheit mischen sie die unterschiedlichsten Referenzen und Zutaten in ihrem kraftvollen, eigenwilligen und doch kommerziell zugänglichen Rocksound – und spielen ihn auf einem teils eigens modifizierten Instrumentarium. Vom Pop- bis zum Metal-Magazin, von Online-Fachseiten bis zum Feuilleton reicht die Begeisterung der Journalisten ebenso wie die ihrer Fanbase, die selten szeneübergreifend ist. Im Zuge der Veröffentlichung einer Deluxe-Version ihres 2021 erschienenen Debütalbums „-!-“ kommen Dead Poet Society am 23. Juni für eine exklusive Deutschland-Show nach Hannover.
Es ist keine Überraschung, dass Dead Poet Society gerne mit Rock-Konventionen herumspielen – das ist ihr Ziel seit ihrer Gründung im Jahr 2013 als Studenten am renommierten Berklee College of Music in Boston. Allerdings benötigten sie eine Weile, um ihre Gemeinsamkeiten zu finden – vor allem die eine, dass sie sich eben allen gängigen Konventionen verweigern wollen. „Zunächst hatten wir am College vor allem einen Ruf“, berichtet Sänger und Frontmann Jack Underkofler: „Jenen, die schlechteste Band der Schule zu sein – gerade, weil es so schien, als seien wir vollkommen unentschlossen in dem, was wir tun.“Doch gemeinsam mit Gitarrist Jack Collins, Bassist Nick Taylorund Schlagzeuger Will Goodroad entstanden immer mehr Songs, die nicht nur für die vier, sondern auch für eine stetig wachsende Hörerschaft viel Sinn ergaben, so unkonventionell sie auch klangen. Und so entstanden nach der Bandgründung 2013 innerhalb von drei Jahren vier EPs, die eine zunehmend große Spannbreite an stilistischen Zutaten aufwiesen.
Das immer mehr in sich verfestigte Quartett entwickelte seine ureigene Chemie immer weiter: Underkofler und Collins einte zunächst eine gemeinsame Vorliebe für Coldplay, aber ihre Geschmäcker breiteten sich im Laufe der Zeit immer weiter aus. Schwer groovende Klassiker wie Led Zeppelin, moderne Art-Pop-Künstler wie St. Vincent, sogar Hip-Hop-Experimentatoren wie Tyler, the Creator dienten als Referenzpunkte für ihr Schaffen. Nicht alle diese Einflüsse sind nun noch auf dem weitgehend selbstproduzierten, von der Fachpresse gefeierten Debütalbum „-!-“ erkennbar. Aber dieser Eklektizismus ist sinnvoll angesichts ihrer Abneigung gegen den meisten modernen Rock. „Er ist einfach lahm“, sagt Collins. „Das ist seit etwa zehn Jahren so. Ich denke, das liegt daran, dass die Leute dem klassischen Rock zu viel Ehrerbietung erweisen. Auch wir kommunizieren über härteren Gitarrenrock – aber der Ausdruck und das, was wir zu sagen haben, ist einzigartig. Unser Ziel ist es stets, jemanden dazu zu bringen, etwas zu fühlen, was er vorher noch nicht gefühlt hat.“
Hierzu bedienen sich Dead Poet Society einem erstaunlich breit gefächerten Genremix von Bombast-Rock à la Muse über den immanenten Wüsten-Groove der Queens of the Stone Age und die bluesige Schwere von Royal Blood bis hin zu Stil-Zitaten zwischen Indie-Disco, Industrial und Djent-Irrsinn. Doch die eigentliche Besonderheit findet sich in ihren selbst modifizierten Saiteninstrumenten. Sowohl die Gitarren als auch der Bass sind „fretless“, wurden also von ihren Bünden befreit. Mit einer „wackeligen“, metallischen und teils bewusst räudig klingenden Intonation können die Instrumente keine traditionellen Akkorde oder Skalen erzeugen; im Ergebnis klingen die satten Gitarren-Riffs und fuzzy Bässe eben komplett anders als aus der Rockmusik gewohnt. Damit hat das Quartett, das mittlerweile geschlossen nach Los Angeles umgezogen ist, tatsächlich eine neue Nische im modernen harten Rocksound geschaffen. Der sich live nur umso spannender und einzigartiger darstellt.
Fotoquelle: Live Nation