Kein anderer Tagesvogel singt in unseren Breiten so schön wie die Amsel.
Ein Album mit dem Titel „Blackbird“ kann also nur eine Hommage an die Schönheit des Lebens sein.
Wenn der brütende amerikanische Südwesten mit dem borealen europäischen Nordosten zu einer einzigen Landschaft verschmilzt, gerät die Erde in Bewegung. Schweißtreibender Frost und eine Hitze, für die man sich warm anziehen sollte. Nichts ist, wie man es kennt und erwartet, die Koordinaten der Gewohnheit verschieben sich, und am Ende bleibt nichts als Worte und Sounds. Willkommen im Reich der Klangpoesie.
Mitten im Berliner Wedding, wo der Gesang der Amsel sich mit dem Duft frischer Mandelhörnchen mischt, befindet sich eine Oase, in der die Songpoetin Andrea Schroeder ihre Lieder schreibt. Sie werden ihr von den Sehnsüchten ihres Alltags in die Feder diktiert, und dennoch tragen sie den Hörer weit weg über den S-Bahnring hinaus über Gebirge und Ozeane in eine Welt, in der alles Europäische hinter uns bleibt und sich unserem Ohr weite Canyons, Wüsten und Steppen erschließen.
Eine raue, verhauchte Stimme, von dezenten Gitarren, Streichern und Orgelklängen unterlegt, die wie ein sanfter Wind vom Horizont herüberwehen, die Worte ergreifen und im Klang davontragen. „Viele Songs gehen aus Gedichten hervor“, erzählt Andrea Schroeder. „Die Melodien ergeben sich aus den Worten. Dann kommen Gitarrenlinien und Strukturen hinzu, und die Songs bauen sich immer mehr auf. Aber manchmal hat Jesper auch eine wunderschöne Melodie auf der Gitarre und ich habe das Gefühl, dazu die passenden Worte finden zu müssen.“
Auch ihr engster Mitarbeiter Jesper Lehmkuhl ist nicht etwa ein Amerikaner, der in der Tradition des Südwestens aufgewachsen wäre, sondern ein kühler Däne. Er spielt auf dem Album nicht nur Gitarre und Bass, sondern findet für die Melodien der Sängerin stets die richtigen Riffs und Klangumgebungen. Mal schmiegt sich die Gesangsmelodie um einen Riff, dann ist es wieder genau umgekehrt und die Gitarre tanzt um den Gesang. Lehmkuhl ist eine wandelnde Enzyklopädie der Genres und Stile.
„Wir sind uns dieser amerikanischen Einflüsse beim Schreiben gar nicht bewusst“, so Lehmkuhl. „Aber es stimmt schon, dass ich in den letzten zehn Jahren mehr Musik aus Amerika als aus Europa gehört habe. Vieles davon hat einfach eine längere Gültigkeit. Die Platten von Neil Young aus den siebziger Jahren wirken heute viel lebendiger als die meisten Sachen, die in den achtziger Jahren in England entstanden sind, denn diese haben sich längst überholt. Trotzdem hatte ich das Gefühl, bei dieser Platte eher an einem nordischen Sound zu arbeiten.“
An der amerikanischen Grundstimmung der Platte hatte sicher auch Produzent Chris Eckman maßgeblichen Einfluss. In Bands und Projekten wie den Walkabouts, Chris & Carla, Dirt Music oder Long hat er über Jahrzehnte immer wieder ganz unterschiedliche Wege gefunden, traditionelle amerikanische Sounds in neue zeitliche und geografische Umgebungen zu stellen. Für „Blackbird“ saß er nicht nur als Produzent im Studio, er schrieb auch die String-Arrangements und legte an Gitarre und Hammond-Orgel Hand an. Eckmans musikalischer Spirit ist hörbar, aber er drückt den Songs nicht seine Philosophie auf. Andrea Schroeder und Jesper Lehmkuhl widerstehen auf ihre Weise sehr souverän allen Verlockungen des Zeitgeistes, seien sie nun vom Mainstream oder vom Underground getragen. Bei aller Lebendigkeit ist der Musik eine sehr archaische Note eigen.
„Die Texte sind in Landschaften beschriebene Gefühle, die viele Menschen so vielleicht gar nicht zulassen würden“, meint die Song-Poetin. „Diese Songs entstehen ohne Planung.“
Das verhaltene Timbre ihrer Stimme verleiht den Texten und Melodien dann noch eine weitere Komponente, deren Verführungskraft man sich nur schwer entziehen kann. Andrea Schroeder ist eine Großstadtschamanin, die den ewigen Sand der Wüste zwischen die Gleise der Tram bläst. Doch Sand ist gemahlene Erinnerung. Ihre Songs mögen wie Landschaften angelegt sein, doch oft wirken sie auch wie Fossilien, die seit Jahrmillionen darauf warten, aufgelesen zu werden. Die Berlinerin findet das Offensichtliche, das sich allen anderen Blicken entzieht und macht es uns zugänglich. Ihre Songs waren als Ideen und Sehnsüchte schon immer da, doch erst hier und jetzt machen sie Sinn. Andrea Schroeder grübelt nicht lange über ihre Songs. „Sicher ändere ich manchmal noch den Song oder ziehe das Gedicht mit der Struktur zusammen. Aber in der Grundidee des Songs ist nichts erzwungen. Mit der Melodie verhält es sich genauso. Es ist nicht komponiert, sondern eher zugelassen. Wir folgen den Worten.“ Diese innere Gelassenheit gibt Schroeder die Freiheit, etwas zu tun, was nur in den wenigsten Fällen musikalisch funktioniert. Sie hat keine Angst vor Klischees, sondern eignet sich diese beherzt an und sagt: Voilà!
Wo andere Songwriter ihr unvermeidliches Spiel mit dem Klischee zu bemänteln suchen, holt sie den Hörer dort ab, wo er ohnehin längst ist. „Es wäre doch ein Trugschluss zu vermuten, dass wir etwas völlig Neues in unseren Songs ausdrücken können“„Warum also nicht auf das zurückgreifen, von dem wir alle wissen, dass es funktioniert? Wir stehlen ja nichts, sondern es ergibt sich aus dem, was uns gefällt, und wir verarbeiten diese Dinge auf unsere eigene, sehr persönliche Weise. Aber wir müssen auch nicht verbergen, auf welche Traditionen wir uns berufen und woher diese kommen. Es ist wie beim Schreiben eines Krimis. Ein Krimi funktioniert nur als Krimi. Warum also so tun, als wäre es kein Krimi?“
Die introvertierte Postmoderne in den Songs von Andrea Schroeder ist keine Partymusik. Sie bedient weder einen Trend, noch eignet sie sich zum coolen Abhängen. Aber sie ist von einer erschütternden Allgemeingültigkeit und emotionalen Tiefe, die jeden, der sich auf sie einlässt, berührt.
Link: