Vimes



Wenn man wollte und ihnen hin und wieder in den Clubs Kölns über den Weg lief, konnte man die Vimes in den letzten Jahren vortrefflich nerven. In gewisser Weise war das schon ein Running Gag der rheinischen Elektronik-Szene: „Azhar, Julian, wann kommt denn nun euer Album?“ Und während man selbst nur einen generösen, wenn auch windelweichen Witz machen und ungebrochenes Interesse signalisieren wollte, sah man gleich, wie müde
das Duo auf die Frage reagierte, wie sehr es unter Druck stand – und natürlich, wie oft sie ihnen bereits, auch über den Freundeskreis hinaus, gestellt worden war.

Der Druck kam nicht von ungefähr: Schon seit 2012, seit ihren ersten offiziellen Songveröffentlichungen, sah die Kölner Szene in den Vimes so etwas wie das uneingelöste Versprechen auf den schon so lange erhofften nächsten elektronischen Popstar aus ihrer geliebten rheinischen Metropole. Man wusste immer, dass die Band das Potenzial besitzt – nur wann würde sie es endlich auf die Platte bringen, auf Albumlänge zeigen? Azhar Syed und
Julian Stetter taten sich damit trotz regelmäßiger Glanzstücke durch Singles und Remixe und großartiger Live-Shows schwer. Kennengelernt hatte sich das Duo im letzten Jahrzehnt auf den Fluren eines Musikmagazins, hatte sich angefreundet und einige Zeit zusammengewohnt. Erst deutlich später kamen die beiden Musiker eher beiläufig auf die Idee, es doch auch mal künstlerisch miteinander probieren zu können. Was hatten sie schon zu verlieren?

Das Projekt funktionierte sofort. Obwohl die beiden aus unterschiedlichen Musikszenen stammten – Azhar eher aus dem Pop-affinen, Julian aus dem Klubmusik-Umfeld – zündete besonders der sich auf einem ähnlichen Level bewegende Enthusiasmus der beiden, ihr Engagement und auch ihre Leidensbereitschaft. Azhar erklärt: „Ich mag Julians genreunabhängiges Gespür. Ich sehe mich zuerst als Songwriter, danach als Produzent. Wenn ich mit einem Song nicht weiterkomme, weiß ich, dass Julian der Gegenpart ist, dass ihm bestimmte Dinge einfach leichter fallen, die ich nie so gut könnte.“ Und Julian ergänzt: „Azhars persönliche Zurückhaltung, im stillen Kämmerlein zu basteln und das Entstandene, bei dem man merkt, dass
bereits Unmengen an Zeit und Gedanken hineingeflossen sind, auf völlig umglamouröse, uneitle Art und Weise darzulegen, um daran weiterzuarbeiten, finde ich bewundernswert.“

Nachdem Köln recht schnell aufmerksam wurde und das Duo auf einen kleinen Thron hob, entdeckten sie bald auch Acts wie u.a. Hot Chip, mit denen die Vimes in Mexiko vor tausenden euphorischer Fans auftraten. Bookings im europäischen Ausland und den USA folgten, mit durchschlagendem Erfolg. Nur: Wo blieb denn nun das Album?

Es ist nun endlich da. Es heißt „Nights In Limbo“ und ist auf vielen Ebenen so großartig geworden, wie alle Freunde der Band es sich so lange erhofft haben. Selbst alte Fans werden verblüfft sein, wie vielseitig, atmosphärisch wie stilistisch, Vimes darauf klingen. Dabei war die Produktion die
vermutet schwere Geburt, mit Tiefpunkten, Verzweiflungsschüben und unzähligen Monaten im heimischen Studio.

Aber selbst das hat sich gelohnt. Gemeinsam mit dem Produzenten Jochen Naaf (Polarkreis 18, PeterLicht, Xul Zolar, Hundreds) hat die Band ein Album geschaffen, das sie in gleich mehreren Disziplinen auf höchstem Niveau zeigt: Ob nun elektronischer Pop von der Eleganz Hot Chips, der Junior Boys oder der frühen Zoot Woman („Harpooned“, „Mind“), knusprigem, detailversessen arrangiertem Listening-Techno von der Güte Apparats („House Of Deer“), wunderbar abstraktem Pop („Hopeful“) oder erhebendem, aber nie zu zuckrigem House („Kyra“) – alles hat „Nights In
Limbo“, und es fügt sich sogar atmosphärisch stimmig in ein Albumkonzept, das nie nur funktionelle Dance Music sein will. Eine Leistung, die ohne den Gesang Azhar Syeds, der auf glamouröse, aber gleichzeitig geheimnisvolle und gebrochen-komplexe Art die Fantasie anregt, kaum möglich gewesen wäre. Die LP besticht durch eine Ruhe und Eleganz, die man nur schafft, wenn man sich aus der Mühle der sich ständig verändernden Techno-Moden ausklinkt.

Wenn die Vimes demnächst wieder durch die Nächte streifen, dürften sie das mit hocherhobenen Köpfen und auch einem Gefühl der Erleichterung tun. Sie haben dem Druck, unter den ihre Freunde, eine bereits beachtliche Fanbase und sicher auch sie selbst sich setzten, standgehalten.

„Nights In Limbo“ ist ein großer Wurf, der sicher nicht nur in ihrer Heimatstadt für Furore sorgen wird.

Am
24.03.2016